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Die Distanz zwischen Kopf, Herz und Hand verringern

Wie Unternehmen mit Listening, Leadership und Language nachhaltige Transformation vorantreiben können.

Anna Julius hat über 20 Jahre Erfahrung in Transformationsprozessen und einen besonderen Blick auf die ‚Dimension Mensch‘ in der Nachhaltigkeit. Im Gespräch mit Lucas Giese erzählt sie, wie sie zum Thema kam und warum ihrer Meinung nach Listening, Leadership und Language entscheidende Schlüssel für Unternehmen sind.

Lucas: Du bist Quereinsteigerin im Thema Nachhaltigkeit – wie bist Du dazu gekommen, Deinen thematischen Schwerpunkt zu verlegen?

Anna: Bis vor zwei Jahren war Nachhaltigkeit tatsächlich nicht in meinem Fokus. Ganz im Gegenteil: ich habe versucht, das Thema – insbesondere die Klimakrise – zu verdrängen. Eine Podcast-Folge, in der die Nachhaltigkeitsexpertin Illana Adamson berichtet, wie sie vom Luxusmarken-Marketing zur Nachhaltigkeit kam, brachte meinen Aha-Moment. Plötzlich sah ich, dass ich mit meiner beruflichen Tätigkeit etwas bewirken kann, denn ich begleite schließlich seit über 20 Jahren Unternehmen in Transformationsprozessen und interessiere mich leidenschaftlich für Psychologie und Neurowissenschaften. Mir wurde klar, wie relevant diese Kenntnisse gerade für Unternehmen im Kontext Sustainability sind. Und so hatte ich mein Thema gefunden: Die „Dimension Mensch“ in der Nachhaltigkeitstransformation.   

Lucas: Welche Erfahrungen aus anderen Branchen oder Projekten kannst du in den Nachhaltigkeitsbereich übertragen?

Anna: In meiner Beratungspraxis in den verschiedensten Branchen habe ich immer wieder gesehen, wir entscheidend klare Kommunikation und ein strukturierter, aber auch adaptiver Prozess für Veränderungen sind. Stakeholder-Einbindung und der Umgang mit Widerständen sind ebenfalls Themen, die im Kontext der Nachhaltigkeitstransformation extrem relevant sind. Da merke ich oft, dass meine Erfahrung aus der Arbeit mit teils sehr großen und hochkomplexen Organisationen hilft. 

Lucas: Du nennst den Umgang mit Widerständen. Das Thema beschäftigt sicher viele Menschen, die im Bereich Nachhaltigkeit unterwegs sind.

Anna: Ja, manchmal fühlt man sich wie im Katastrophenfilm „Don’t look up“, wo niemand die Warnungen der Wissenschaftler ernst nimmt. Es kann sehr mühsam sein, wenn andere die Notwendigkeit von Nachhaltigkeitsmaßnahmen nicht sehen oder einfach nicht ins Handeln kommen. Schließlich geht es hier nicht um ein Nice-to-Have-Projekt, sondern letztendlich um die Sicherung unserer Zukunft auf diesem schönen Planeten. Und ja, das kann frustrierend sein. 

Zuerst einmal hilft es mir, einzuordnen, welcher Art die Widerstände sind. Wir alle kennen wohl die psychologischen Widerstände, die angesichts dieses großen Themas absolut verständlich und menschlich sind. Da tut man gut daran, sich möglichst aufgeschlossen und wissbegierig von Mensch zu Mensch zu begegnen. Übrigens hat mein „Geständnis“, dass ich selbst lange das Thema wegschieben wollte, auch schon viele Gespräche aufgelockert. 

Anders verhält es sich mit sachlichen Widerständen. Ein viel zitiertes Beispiel ist die leitende Angestellte, die nicht mit dem Fahrrad in die Firma kommen will, weil sie nicht bei wichtigen Terminen verschwitzt erscheinen möchte. Oder – ein echtes Münchener Beispiel – die Wiesn-Hendl in Bio-Qualität, die partout nicht genormt auf die Roste der Bratereien passen wollen. Hier hilft es, genau hinzuhören und herauszufinden, was genau denn die hemmenden Faktoren sind. 

Lucas: Hast du eine bewährte Strategie oder Methode, die dir in der Praxis immer wieder hilft?

Anna: Die Unternehmen und Themen sind so unterschiedlich und erfordern so individuelle Lösungen, dass ich nicht an die eine Methode, den einen Blueprint, glaube. Aber: Ich schaue gerne auf die drei Bereiche „Listening, Leadership, Language“, da sich aus meiner Erfahrung hier die besten Hebel für Verbesserungen finden. 

Lucas: Kannst Du das näher ausführen? Was haben diese Begriffe mit Nachhaltigkeit zu tun?

Anna: Listening, Leadership, Language – die drei Bereiche helfen, den Fokus auf die Dimension Mensch zu lenken. In der Nachhaltigkeit wird viel über Regularien gesprochen, über Kenn- und Jahreszahlen. Unter den Top-Themen aktuell sind Kreislaufwirtschaft, Greenwashing, Klimaneutralität, Energieeffizienz. Natürlich ist das wichtig, aber die „Dimension Mensch“ kommt viel zu kurz. Wer macht die Gesetze? Wer wählt diejenigen, die die Gesetze machen? Wer arbeitet in den Unternehmen an der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen? Der Mensch ist der gemeinsame Nenner, für mich liegt hier der Schlüssel. 

Lucas: Wie kann das in der Unternehmenspraxis aussehen? 

Anna: Für jeden Aspekt bieten sich Leitfragen an, anhand derer man innerhalb der Organisation die wichtigsten Hebel identifizieren und nutzen kann. Meistens reichen diese Fragestellungen schon aus, um ganz gut einzugrenzen, wieso ein Prozess stockt oder was s nächste Schritte sein können.

In der Dimension Listening etwa: Gute Kommunikation beginnt immer mit Zuhören. Aus der Klimapsychologie wissen wir, dass Zuhören und sich auf das Gegenüber einzulassen die erfolgversprechendste Art der Gesprächsführung ist. Das verstehen wir zwar intuitiv für 1-zu-1-Situationen, wenden dieses Wissen aber sehr selten auf den Organisationskontext an. Mögliche Leitfragen sind also: 

  • Kennt und versteht Ihr Eure internen und externen Anspruchsgruppen?
  • Wisst Ihr, wo es hakt und welche Zielkonflikte in der Organisation Eure Vorhaben bremsen? 
  • Nutzt ihr das volle Daten-Potenzial, das in eurem Unternehmen schlummert?

Für das Thema Leadership lässt sich sagen: Nachhaltigkeit braucht Visionen und Vorbildfunktion. Es ist bekannt, dass Veränderungsvorhaben, hinter denen die Unternehmensführung nicht steht, oder die nicht durch das mittlere Management getragen werden, zum Scheitern verurteilt sind. Außerdem würde ich hier gerne den Begriff „Leadership“ erweitern, das sind nämlich nicht nur die „Führungskräfte qua Amt“, sondern auch engagierte Einzelne, etwa die Mitarbeitenden, die ein „Green Team“ gründen. Ich starte gerne mit diesen beiden Fragen:

  • Kennen die Führungskräfte in Eurem Unternehmen die Nachhaltigkeitsstrategie, vermitteln sie diese weiter und verfolgen sie die Ziele in ihrem täglichen Tun?
  • Ermöglichen die Führungskräfte, dass Mitarbeitende ihre Ideen einbringen und auch Bottom-up-Kräfte wirken können?

Bei Language im Kontext Nachhaltigkeit denken viele an Storytelling, Greenwashing, oder die Frage, wie sich komplexe Inhalte korrekt, authentisch und dennoch verständlich vermitteln lassen. Die dahinterliegende Frage ist meist „Wie bekommen wir das Thema in die Köpfe, damit die Menschen motiviert sind?“. Es lohnt sich, diese Haltung zu hinterfragen. Nachhaltigkeitskommunikation wird nämlich noch zu oft mit der Gießkanne über alle Stakeholder-Gruppen gegossen, kommt belehrend daher und lässt wenig Raum für Dialog. Für eine differenziertere Betrachtung können folgende Fragen hilfreich sein:

  • Welche spezifischen Bedürfnisse und Perspektiven haben unsere verschiedenen Stakeholder-Gruppen, und wie können wir diese gezielt adressieren?
  • Wie schaffen wir authentische Kommunikationsformate, die den Dialog fördern, anstatt lediglich zu senden?
  • Was benötigen unsere Kolleg:Innen aus der Unternehmenskommunikation und aus der Nachhaltigkeitsabteilung, um gemeinsam gute Nachhaltigkeitskommunikation auf die Beine zu stellen? 

Unternehmerische Nachhaltigkeit voranzutreiben ist eine große Aufgabe, aber auch sie besteht letztendlich aus vielen kleinen Schritten. Mit der „Dimension Mensch“ im Fokus und guten Maßnahmen in den Bereichen Listening, Leadership und Language gelingt es viel besser, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Nachhaltigkeitsziele mit vereinten Kräften zu erreichen.

Mehr:

Renée Lertzmann verbindet mit ihrem Project Inside Out Psychologie und Klimakommunikation und plädiert für mehr Verständnis der psychologischen Dimension der Klimakrise. Das Video „Talking about climate change” gibt einen praxisorientierten Einblick in Lertzmanns Arbeit und ihre Empfehlungen für gelingende Nachhaltigkeitskommunikation.

Maria Hoffacker zeigt in ihrem Buch Nachhaltigkeit beginnt im Kopf, wie psychologische Mechanismen unser Verhalten prägen und wie wir durch bewusstes Denken und Handeln nachhaltige Veränderungen im Alltag und in Unternehmen erreichen können.

Gastautorin: Anna Julius | Profil bei sustainability people company